Monografie „Original“


gruenhufe

Statements in Leben und Kunst

Texte Jorinde Gustavs

Dr. Christoph Tannert, Gisela Klostermann, Dr. Franz Triebenecker

Fotos im Buch von Peter Brune, Ilse Schrama, Carla van de Puttelaar, Jule Voigt, Ekke Maass

Titelfoto von Carla van de Puttelaar

weiw Verlag Stralsund/Amsterdam
23 x 28,5 cm, 112 Seiten, Leinenband, Deutsch/English
ISBN 978-90-807472-7-2 (NL)
ISBN 978-3-937938-09-7 (D)

38 Euro




Textauszug

„Entdeckung uralter Kontrapunkte“ 1989 in „Engel`89“

Das Auftauchen der Engels-Figuren zu einer Zeit, die wohl die phsychsozial bedenklichste und freudloseste für den sich unter sozialistischen Bedingungen wähnenden deutschen Staat seit seiner Gründung ist, kann nicht verblüffen. Nie war die Enttäuschung so groß, nie zuvor äußerten junge DDR-Künstler so verantwortungsbewußt und direkt ihren Freiheitsanspruch, ihre Absage an Einmauerungstaktiken und politisch zementierten Altersstarrsinn. Und das vollkommen antipropagandistisch, nicht als inhaltliches Jagtunternehmen, sondern mit stiller Entschiedenheit und materialbewußt.

...Linien und Flächen macht Gisela Ehbets zu Empfindundsverläufen, die mehr der Andeutung als der griffigen Eindeutigkeit verschwistert sind- wie auch die Nähmaschinengrafiken von Jorinde Gustavs.
Es sind große, für eine Präsentation im Raum konzipierte weiße Baumwolltücher, die die Künstlerin benäht, indem sie die Maschine in ihrer Hand als Zeichengerät handhabt. Die Fadenspuren gehen nicht in Mustern oder Ornamenten auf, sondern sind Umrißlinien von frei über das Tuch fliesenden Gebilden. Es könnten Anzeichen von Gefühlsmetarmophosen sein, von Ahnungen, oder ganz im Ungewissen laufende, auf eine Nach-Geschichte hinzielende Hoffnungspartikel. Wie Bettlake, Schweiß-und Grabtücher, Lichtgewänder, in denen der Abdruck einer Lichtgestalt sichtbar wird, die nicht von dieser Weltr ist, hängen die geheimnisvollen Stoffe von der Decke. Unübersehbar sind an die Art und Weise des Vorzeigens und an die Wahl des Materials Erinnerungen geknüpft, die traditionell „weiblicher“ Lebenstätigkeit in Verbindung gebracht werden können. z.B. mit Handarbeiten und Wäscheaufhängen. Selbstbewußt und ich-orientiert hat Jorinde Gustavs eine Ausdrucksform jenseits „männlicher“ Formmonopole für sich nutzbar gemacht, die in ihrer stofflich bewußten Empfindsamkeit Verbindungslinien zu den Nähgrafiken von Heike Stephan, den Zeichnungen auf Schnittmusterbögen von Angela Hampel, den Land-Art-Aktionen von Karla Woisnitza, Christine Schlegel und anderen Frauen der siebziger Jahre, natürlich auch zu den textilen Arrangements von Magdalena Abakanowicz, Francoise Grossen und Edda Seidel-Reiter knüpft. Längst haben einige DDR-Künstlerinnen die Ergebnisse weiblich-eigensinniger Selbsterfahrung künstlerisch transformiert in innovative Formangebote, wenngleich im Ausstellungsspektrum der DDR die Besetztung tradierter Formen mit weiblichen Inhalten überwiegt.

-----An der Schärfung des Blicks für den feministischen Horizont sind in unserer Zeit besonders häufig junge Künstlerinnen beteiligt: Karla Woisnitza, Gabriele Kachold ( mit scharfzüngigen Texten, body-painting und Konzept-Fotografie) oder Angela Hampel, die in Installationen Elemente wie Steine, Haare, Fell in ein neues partnerschaftliches Natur-Mensch-verhältnis setzt und in Engeldarstellungen der Animus-Anima-Problematik nachgeht...

Dr. Christoph Tannert, Berlin